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Abseits in der Komfortzone



Willkommen in meiner Komfortzone. Schön, dass Ihr vorbeischaut. Darf ich Euch etwas anbieten? Kekse vielleicht? Was kühles zu trinken? Gar nichts davon? Klar, ist voll in Ordnung. Alles kann, nichts muss hier. Die Wände sind plüschig gepolstert, alles ist schön rosa rot angemalt. Hier kann man es aushalten, es gibt keinen Ärger und man muss sich mit keinem einzigen Problem der Welt auseinander setzen. Bleiben wir doch alle ein wenig, halten uns bei den Händen und singen fröhliche Lieder.


Was? Hä? Oh tut mir leid, ich schweife ab. Hatte mich gerade mal wieder in mein Schneckenhaus zurückgezogen. Die Realität sieht aber meist anders aus. Egal wie behütet man aufwächst, man wird nicht anders können, als sich auch mit ernsten Problemen zu beschäftigen. Dinge, die einem täglich begegnen. Zuhause, in der Arbeit, mit Freunden, im Supermarkt.


Da dies meine eigene persönliche Selbsthilfegruppe ist fange ich also mal so an: Hi, ich bin Bob. Und ich gehe Problemen gerne aus dem Weg. In Gedanken könnt Ihr mir jetzt ein "Hi Bob" entgegen schmettern.


Wie immer im Leben ist mein Verhalten wohl in der Kindheit zu suchen. Damals auf dem Dorf in der Nähe von Augsburg. Jeder kannte jeden, jeder redete über jeden. Negative Dinge passierten nur den Anderen, nicht einem selbst. Und wenn doch, hat man darüber nicht geredet. Gehörte sich nicht, was sollen denn die anderen denken? So behütet ich auch aufwuchs, so viele Schwierigkeiten gab es. Mein Vater war, nun ja, nennen wir es mal umtriebig. Meine Mutter wusste es, sah aber weg. Man lebte in der eigenen Komfortzone, einer Blase fernab der Realität. Ich mache es kurz, irgendwann platzte diese Blase. Meine Eltern sind lange geschieden und jeweils neu verheiratet. Hat also nicht so ganz funktioniert mit dem ignorieren.


Nun ist es ja nicht generell schlecht, wenn man etwas ruhiger ist. Wenn man über die Jahre aber der eigenen Mutter in solchen Dingen immer ähnlicher wird, dann sollte einem das gewaltig zu denken geben. Immer den sprichwörtlichen Schwanz einzuziehen, weil etwas mal unangenehm werden könnte, löst auf Dauer sicher keine Probleme.


In den letzten Jahren bin ich recht gut darin geworden, meine eigene kleine Komfortzone zu hegen und zu pflegen. So schön das für mich ist, so schlecht ist es sowohl für meine Frau, als auch für unsere gesamte Beziehung.


Meine Frau ist ein offener Mensch, mit dem Herz auf der Zunge. Vielleicht manchmal zu ehrlich für manche Menschen. Aber in jedem Fall nie verlogen, stets aufrichtig und loyal. Auch mir sagt sie dabei immer was sie denkt und was sie bewegt, was sie stört oder ihr nicht passt. Und ich? Ich sage das.... Naja.... Eher nicht so. Eigentlich so gar nicht. Ne, gibt nur Ärger, macht nur Probleme. So denke ich mir. Und da ist sie wieder, diese verlockende Komfortzone. Da geh ich jetzt schnell rein. Lächle, nicke, sage "ja" und habe meine Ruhe. Super gemacht würde ich sagen.


Leider bringt diese Einstellung zu vernünftiger Kommunikation sowohl in der Ehe als auch anderen Bereichen des Lebens Probleme mit sich. Man versucht viele Dinge für sich alleine zu regeln, bei denen man wohl besser mit der Frau geredet hätte. Weil sie es wissen muss, weil sie einen guten Rat hat, Verständnis und ein offenes Ohr. (und grundsätzlich hat sie eh immer Recht)


Viele unserer Streitigkeiten sind im Grunde vollkommen vermeidbar. Sie entstehen, wenn meine Frau sich nicht eingebunden fühlt, nicht wahrgenommen. Nicht wichtig genug, mit ihr über dieses oder jenes Problemchen oder handfestes Problem zu reden. Und hier geht das Dilemma weiter, denn nicht wir streiten, sie streitet - bzw. versucht es. Ich wirke wie ein Unbeteiligter, der nur durch Zufall am Geschehen vorbei kommt.


Streiten macht sicher keinen Spass, zumindest nicht den meisten Menschen. Aber es ist wichtig. Es ist das Gewitter, welches die Luft reinigt. Man reibt sich an etwas, reagiert sich ab schießt ein paar Blitze auf den Anderen und kann sich danach wieder in den Arm nehmen.


Bei den guten alten "Kumpel" Geschichten war das dann in etwas so: Man haut sich ordentlich auf die Fresse, danach geht man gemeinsam einen trinken. Thema gegessen.


Aber wenn man wie ich dem Schlag ausweicht und danach weg geht, der wird zum Saufgelage erst gar nicht eingeladen. Warum auch? Entsprechend enden Streitereien mit meiner Frau mit der Erkenntnis, dass sie ihren Standpunkt klar gemacht hat, ich nicht und danach alles so schlecht wie vorher ist. Das lässt sie inzwischen in vielen Situationen ziemlich verzweifeln, weil es nahezu unmöglich ist, mich aus meiner Reserve zu locken.


Es ist ok, eine Komfortzone zu haben, die nett dekoriert ist und die man in wirklich schlechten Momenten aufsuchen kann. Es ist auch ok, wenn man älter wird und in manchen Dingen den eigenen Eltern ähnlicher. Nicht ok ist aber, wenn man sich nicht entwickelt, für sich einsteht und daran interessiert ist, mit dem Partner oder generell Probleme zu bereden und dafür auch mal bereit ist, den ein oder anderen Kampf auszutragen. Denn wer die Schulaufgabe leer zurück gibt, bekommt eben eine 6 - setzen. Danke.


Mein aktuelles Projekt lautet daher, wie ich eine vernünftige Kommunikations-Kultur für mich und mein Umfeld, in aller erster Linie für meine Liebste schaffen kann. Über wichtige, aber auch alltägliche Dinge, ja sogar Kleinigkeiten reden. Was mir unwichtig scheint, kann für meine Frau eine enorm wichtige Information sein. Ich glaube daran, dass ich das schaffen kann. Allen Genen zum Trotz.


In diesem Sinne, redet mehr!

Euer Bob


P.S. Ja, das gilt auch für mich, damit es der Frau die ich so sehr liebe einfacher fällt, mit mir umzugehen.

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