Fluctuat nec mergitur – Wer diesen Spruch nicht kennen sollte, dass ist nicht schlimm - Er bedeutet in etwa „Sie wankt, aber sie sinkt nicht“.
Niemals hatte dieser Spruch für mich mehr Bedeutung als heute. Denn er steht für mich sinnbildlich für das, was meine Frau und natürlich letztendlich auch ich in den letzten Wochen erlebt haben. Aber der Reihe nach.
Man muss sich vorstellen, dass meine Frau über die letzten fast 6 Jahre keinen Kontakt mehr zu ihrer leiblichen Familie hatte. Allem vorangegangen war die Tatsache, dass es Momente im Leben gibt, an denen man unterschiedliche Wege bestreitet und irgendwie auseinander driftet, ohne es wirklich zu merken oder es zu wollen. So etwas ist im Grunde vollkommen normal und eventuell auch nicht weiter schlimm, gäbe es da nicht noch Menschen, die versuchen, dieses Auseinanderdriften für ihre eigenen Zwecke zu nutzen und mehr noch, es durch die Verbreitung von Gerüchten und Unwahrheiten sogar noch unterstützen, und schlimmer machen. All die Jahre war niemandem innerhalb der Familie meiner Frau klar, wieviel Zerstörung solch ein Einfluss tatsächlich haben kann. Aber irgendwann bröckelt jede Fassade, es treten Fragen auf und es entstehen Ungereimtheiten, die einen dazu bringen, die Dinge plötzlich etwas differenzierter zu betrachten.
Und dann gibt es den Punkt, an dem die Zweifel über das was man zu wissen glaubt, so stark werden, dass man es nicht mehr länger aushält und Gewissheit benötigt. Genau diese Tatsache war es, die dafür sorgte, dass die Schwester meiner Frau über den Onkel Kontakt aufnahm. Was dann folgte war etwas, womit wir kaum gerechnet hatten. Der erste echte persönliche Kontakt zur Schwester nach fast 6 Jahren, Eingeleitet durch ein langes Telefongespräch. Plötzlich war klar, die Familie war vielleicht nicht immer sichtbar, aber immer da. Denn während meine Frau von sich aus auf Grund der Erlebnisse nicht in der Lage gewesen wäre, den ersten Schritt zu tun, hat ihre Schwester genau diese Aufgabe übernommen und ihr gezeigt, sie wird nicht nur schmerzlich vermisst, sondern auch dringend gebraucht.
Als Schwester, Tante, Schwägerin, Nichte, Cousine und vor allen Dingen als Tochter. Denn trotz aller Freude hängt ein Schatten über allem. Denn die Mama meiner Frau ist schwer, sogar lebensbedrohlich erkrankt. Und plötzlich stellt man sich die Frage, wo all die Jahre geblieben sind, und wie es überhaupt soweit kommen konnte, dass man sich so dermaßen aus den Augen verlieren konnte. Und da sind sie wieder. Die Menschen, die einem das persönliche Glück einfach nicht gönnen wollen, oder ihre eigenen Bedürfnisse und ihre Geltungssucht über das Leben anderer stellen. Ohne Rücksicht darauf, was man damit anrichten kann.
Zu dem wiedergewonnenen Kontakt mit der Schwester kam plötzlich auch noch der Bruder hinzu. Ein weiterer Teil des Puzzles wurde hinzugefügt und auf einmal war meiner Frau so klar wie nie zuvor, sie muss sich in das nächste Flugzeug setzen. Ich selbst kannte das bisher nur aus Filmen. Aber das hier ist das echte Leben. Es ist die Realität. Und so buchten wir an einem Montagnachmittag, 2 Wochen nach der ersten Kontaktaufnahme, einen Flug nach München für den nächsten Morgen. Schneller ging es nicht. Es war ein Flug ins Ungewisse, One-Way. Rückkehr? Erstmal egal. Insofern hätte diese Reise auch eine absolute Katastrophe werden können.
Es benötigte ein für mich unbegreifliches Maß an Mut und ein Herz, groß wie ein Bergwerk. Aber genau so kenne ich meine Frau. Kämpfen an vorderster Front, machen anstatt reden. Das zeichnet sie aus.
Also flog sie sprichwörtlich um die halbe Welt, während ihr immer klarer wurde, wie sehr sie die Nähe ihrer Familie all die Jahre vermisst hatte gepaart mit einer, wie sie jetzt sagen würde „scheiß Angst“. Wie sagt man so schön? Das Glück bevorzugt die Tüchtigen. Ihr Wagnis, und ihr Einsatz sollten belohnt werden. Denn sie wurde tatsächlich mit offenen Armen und noch offeneren Herzen empfangen. Von den Menschen, die ihre Familie sind und es immer waren. Es war manchmal seltsam, von meiner Frau zu hören, dass es auf sie oft so wirkte, als wäre im Grunde gar keine Zeit vergangen. Denn abgesehen davon, dass die Kinder nun größer waren, wirkte vieles vertraut und liebevoll. Keine Ahnung ob sie die Umarmungen gezählt hat, die sie in ihrer Zeit an jedem Tag und fast zu jeder Stunde von allen Teilen ihrer Familie bekommen hat. Aber es müssen unfassbar viele gewesen sein. Es heißt, Familie kann man sich nicht aussuchen. Und ich glaube das ist gut so. Denn wir sind aufeinander abgestimmt. Blut ist dicker als Wasser. Nie hatte dieser Spruch so viel Bedeutung wie jetzt. Auf einmal war sie einfach wieder da. Die Familie. Aber nicht einfach nur ein Teil der Familie, sondern alle. Und zwar ausnahmslos!
Egal ob es die Onkels mit ihren Familien waren, das große "Nichtenkind" mit ihrer eigenen kleinen Familie, die Geschwister und Nichten, Neffen, Cousins und Cousinen. Meine Frau hat es geschafft, jeden einzelnen in der begrenzten Zeit persönlich zu treffen, teilweise mehrfach, und vor allem auch ihren leiblichen Vater aber, und das ist noch viel wichtiger, ihre Mama. Konnte Zeit verbringen, gute Gespräche führen, sich herzen und drücken, aneinander anlehnen, miteinander weinen, aber auch lachen. Sich in den Arm nehmen, aufrichtig entschuldigen, nach vorne blicken und unwichtige Dinge und schlechte Personen hinter sich lassen. Mit jeder Umarmung verschwand der Schatten der negativen Einflüsse anderer, bis am Schluss nur noch Sonnenschein übrig war. Man kann bestimmte Dinge nicht ändern, aber man kann das Beste aus seiner Zeit machen und die Menschen um sich herum mit Respekt und Fairness behandeln.
Ich denke, meiner Frau ist noch nie ein Abschied so schwergefallen wie in diesem Fall und mit einem Herz schwer wie Blei trat sie die Heimreise an. Allen Umständen zum Trotz hatte sie diesen Schritt gewagt und am Ende gewonnen. Sie gewann ihre Familie zurück, und siegte über die Neider und Egoisten, die ihr eigenes Versagen mit dem Fingerzeig auf andere zu verstecken versuchen. Durch ihren selbstlosen Einsatz hat sie auch für mich und vor allen Dingen unserem Sohn eine ganze Armee an guten Menschen gewonnen, die ehrlich sind, liebevoll und füreinander einstehen.
Es ist mir wichtig, mich vor allen Dingen bei ihrer Schwester und ihrem Bruder dafür zu bedanken, dass sie bewiesen haben, dass man etwas zerbrochenes nicht nur wieder reparieren, sondern sogar besser machen kann. Ihr seid mein Schwager und meine Schwägerin und ich bin dankbar, euch wieder in meinem Leben zu haben und alle anderen wunderbaren Menschen, die zu dieser Familie gehören. Egal ob jung oder alt.
Ich kann es kaum erwarten, euch selbst endlich wieder zu sehen, und mit euch all die guten Gespräche nachzuholen, die wir über die Jahre verpasst haben.
Diese ganze Geschichte könnte Bücher füllen, und ein einzelner Blog kann dem nicht gerecht werden. Ich werde sicher noch einige weitere Einträge über diese Erlebnisse verfassen und die ganzen Details für mich selbst genauer unter die Lupe nehmen. Die Wahrheiten die ich dabei zu Tage fördern werde, dürften sicher nicht allen Menschen passen. Und das ist gut so. Wahrheit hat nur selten Freunde. Und ich bin mir sicher, diesen Schuh wird sich in jedem Fall die richtige Person anziehen.
Mir ist klarer als jemals zuvor:
So hohe Wellen kann niemand schlagen, als das dieses Boot jemals untergehen könnte. Fluctuat nec mergitur.
Euer Bob.
PS: ich liebe meine Frau, ihr Wesen, ihren Mut, ihr Vorbild. Sie ist eine Kriegerin des Herzens.
Commentaires